Terreuropa

Über die Europäische Gesellschaft, den Islamischen Staat und den Umgang mit Angst

Ich bin traurig und enttäuscht. Die jüngsten Ereignisse von Paris haben mir Europas wahres Gesicht offenbart. Als hätte es jahrelang Make-Up getragen und seine Einwohner vergessen, wie die ungeschminkte Wahrheit aussieht.
Schon seit ich existiere, ist es Teil des europäischen Selbstverständnisses sich als Vorreiter, ja als Vorbild, eines modernen Menschenbildes zu sehen. Mit Stolz tragen wir Multikulturalismus, Toleranz und Offenheit in die Welt hinaus. Doch sind wir das wirklich?

Was am 13. November in Paris passierte, ist und bleibt eine Tragödie. Mehr als 130 Menschen haben grundlos ihr Leben verloren und kein Mensch der Welt hat ein solches Schicksal verdient. Der Französische Präsident François Hollande betitelt diese Anschläge mit einem „Kriegsakt gegen unsere Art zu Leben und unsere europäischen Werte“. Nun woraus bestehen unsere europäischen Werte denn eigentlich? Laut einer Umfrage der Bundeszentrale für politische Bildung bedeutet Europa und die EU für seine Bewohner in erster Linie das Vertreten von Menschenrechten, Demokratie, Frieden, Unterstützung anderer, Respekt gegenüber menschlichem Leben und anderen Kulturen, Toleranz und Gleichheit. Eine ordentliche Menge positiver Eigenschaften, mit der man sich durchaus brüsten kann, aber wie sieht es mit deren Verwirklichung aus?

Wir fordern Frieden und Respekt gegenüber menschlichem Leben, doch was ist Frankreichs Antwort auf die Pariser Anschläge? Natürlich fliegt man erst mal mit den eigenen Kampfjets über Rakka in Syrien und wirft tonnenweise Bomben ab. Was soll das bezwecken? Sind wir in die Zeiten des alten Testamentes zurückgefallen? Auge um Auge, Zahn um Zahn, ist das. Ein Racheakt.
Da frage ich mich: ist Rache noch modern; gehört Rache zu einem modernen Europa? Ich kann mich an keine Situation erinnern, wo Rache eine heikle Lage wirklich verbessert hat. Warum sind wir gegen die Todesstrafe, aber nicht dagegen, dass viele, sogar unschuldige, Menschen durch uns in Syrien getötet werden? Wenn der kleine Mohammed aus Rakka durch einen solchen Bombenangriff seiner Vater verliert, wem gilt dann sein Groll? Sicherlich nicht dem IS, der den Kleinen dann aufnimmt und ihm eine Waffe in die Hand drückt. Durch solche Aktionen sähen wir fruchtbaren Nährboden für Extremisten.

Wir fordern Gleicheit, Toleranz und Unterstützung anderer. Was ist die Antwort mancher deutscher Parteien und vieler europäischer Staaten auf die Anschläge in Paris? Man will den Flüchtlingsstrom begrenzen, schließlich sind ja zwei der Attentäter auf diesem Wege nach Europa gelangt.
Dies ist der Punkt, wo ich persönlich nicht nur enttäuscht bin, sondern wirklich wütend werde.
Diese armen Menschen fliehen vor eben den Menschen, vor denen ihr nun auch Angst habt. Diese Leute mussten Frauen und Kinder sterben sehen und haben Familienangehörige verloren. Durch ebendie Gruppierungen, vor denen ihr nun Angst habt. Und nun wollt ihr Ihnen eure Hilfe verwehren, nur weil ein paar Einzelne, der selben Nationalität, Attentäter waren? Von wegen „Unterstützung anderer“… Wie kommt man überhaupt zu dem Schluss, dass das Leben eines Flüchtlings weniger Wert sei als eures?
Ich muss sagen, dass ich am Anfang der großen Flüchtlingswelle sehr stolz auf die Hilfsbereitschaft der deutschen Gesellschaft war. Es gibt nach wie vor sehr viele Menschen, die sich für Flüchtlinge einsetzen und sich engagieren. Allerdings nehmen die Gewaltverbrechen gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsheime stetig zu und es gibt eine Wachsende Gruppe der Bevölkerung, die eine Ablehnung und Obergrenze der Fliehenden fordern.
Die Liste der Staaten auf die ich als Europäer ganz und gar nicht Stolz bin wird leider auch von Tag zu Tag länger. Zunächst Ungarn, dann die Slowakei, schließlich der Rechtsschub Polens und Mittlerweile gehören Österreich, Dänemark, die Niederlande und nun auch Norwegen und sogar Schweden dazu.

Überhaupt macht es mich traurig, dass es in Europa eine so panische Angst vor dem Islam gibt. Paradoxerweise gibt es die vor allem dort, wo am wenigsten Muslime leben. Es ist die Angst vor dem Unbekannten und Europa ist nicht weit genug, um diese  zu überwinden und einer anderen Kultur ohne Vorbehalte entgegenzutreten. Dazu kommt dass Generalisierung nach wie vor ein riesiges Problem ist. Egal was wir uns einbilden, wie tolerant wir Europäer doch sind; wir sind es nicht.

Ich muss für mich sagen, dass ich immer ein großer Befürworter der Europäischen Integration war. Heute zweifle ich jedoch stark daran. Was ich früher als Ziel gesehen habe, sehe ich heute lediglich als Wunschdenken. Die Europäischen Gesellschaften sind sich dafür einfach noch zu unterschiedlich. Ich bin gespannt, ob wir noch zu meinen Lebzeiten weit genug sein werden.

Wir Europäer müssen allerdings unbedingt verstehen, dass der Islam keine böse Religion ist. Wir haben es vor allem seit 9/11 einer unglaublichen Medienhetze zu verdanken, dass sich viele unserer westlichen Welt schon unwohl fühlen, wenn sie nur einen Mann mit traditioneller Kleidung und Bart auf der Straße sehen. Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass man den Begriff „Islamischer Staat“ vorsichtiger verwenden sollte. Die Franzosen haben es sehr gut vorgemacht und nennen den IS hauptsächlich nur „Daesh“, was zur Folge hat, dass nicht schon alleine der Name dieser Organisation eine ganze Religion in den Dreck zieht.

Daesh’s Anschläge in Paris haben in Europa eine große Welle der Angst ausgelöst. Sicherheitsmaßnahmen wurde europaweit erhöht, Vorratsdatenspeicherung ist wieder im Gespräch, allgemein wird der Ruf nach mehr Kontrolle wieder laut. Wir lassen uns freiwillig mehr überwachen.
Warum geben wir den Terroristen, was sie wollen? Warum lassen wir uns so sehr einschüchtern?

Ich bin der Meinung, dass wir in Deutschland eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber Terrorismus entwickeln müssen, denn nur so können wir Ihn besiegen. Wir können selbst entscheiden, wie viel Macht wir dem Terrorismus geben.
Sicherlich bleiben die Pariser Anschläge nicht die letztem auf europäischem Boden. Wenn jeder weitere Anschlag eine solche Panikwelle bei uns auslöst, werden wir es nie schaffen den Terrorismus zu überwinden. Vor allem dürfen wir uns dadurch nicht in unserer Freiheit einschränken lassen.

Lasst uns unsere Grundsätze, unsere Grundrechte, leben. Lasst uns menschlich sein. Lasst uns frei sein.

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