Adventure Time (Part II)
Als ich am 5. Dezember wieder aufbrach, um meine Reise fortzusetzen, war ich sehr traurig meine Gastfamilie zu verlassen. Jedoch verspürte ich ebenso das Verlangen weiterziehen zu müssen und dem wollte ich mir nicht entgegensetzen. Der größte Teil des Abenteuers stand mir nämlich noch bevor. Nach den Mennonitenkolonien, befindet sich auf meiner Route nur noch eine kleinere Stadt und dann erwartet mich die Weite des Chacos. Der einfachste Weg wäre vermutlich über die Routa Transchaco bis nach Bolivien zu fahren und dann gen Süden zu ziehen, doch ich möchte mir dieses Land für später aufbewahren. Das bedeutet, dass ich die Hauptstraße an einem gewissen Punkt verlassen muss, um zu einem kleinen Ort namens „Pozo Hondo“ an der argentinischen Grenze zu gelangen. Von dort muss ich nur noch auf die etwa hundert Kilometer entfernte Autobahnen kommen und dann sollte der Rest meiner Reise bis nach Salta ein Kinderspiel werden.
Seine Reise nur nach der Karte zu planen hat Vor- und Nachteile. In diesem Fall sollte es wohl mehr letzteres werden, denn von einem Kinderspiel kann in keinem Fall die Rede sein. Fangen wir aber ganz vorne an.
Karin nimmt mich frühmorgens von Menno bis in die Nachbarkolonie Filadelfia mit, da sie dort ein paar Einkäufe zu erledigen hat. Von dort ist es für mich einfacher auf die Transchaco zu kommen und außerdem möchte ich mir noch kurz deren Museum ansehen. Als ich das hinter mich gebracht habe, begebe ich mich zum Ortsausgang und warte auf eine Mitfahrgelegenheit. Dort stehe ich kurz hinter einem Kreisel, welcher der einzige in ganz Paraguay ist, wo man im Kreisel zu warten hat, wenn jemand in diesen einfahren möchte, wie man mir sagt. Die Kolonier sind manchmal eben einfach speziell.
Ich habe Glück, denn schon nach einer guten halben Stunde rettet mich ein Argentinier aus der brennenden Hitze und bringt mich bis zur etwa zehn Kilometer entferneten Hauptstraße. Dort begebe ich mich auf die richtige Seite und suche bei einer Bushaltestelle Schutz vor der Sonne. Die Straße wirkt wie ausgestorben und es kommt nur alle fünfzehn Minuten mal ein Fahrzeug vorbei. Beim vierten Auto klappt es und ich bekomme eine Mitfahrgelegenheit bis zu besagter Kleinstadt namens „Mariscal José Félix Estigarribia“. Bis dorthin sind es etwa 70km und wir sind grob eineinhalb Stunden unterwegs. Gefahren werde ich von einem etwa fünfzig-jährigen Paraguayer und seinem Sohn, der mich durchgehend mit erfrischendem Tereré versorgt. Sie wohnen in der Kolonie „Neuland“ und stammen ebenfalls von den mennonitischen Siedlern ab. Allerdings sprechen sie nur spanisch und deren Familie hat sich schon seit längerem von dessen Lebensstil entfernt. Seinen Ursprung kann man dem Vater anhand seinen hellblauen Augen jedoch noch deutlich ansehen.
In Mariscal angekommen bedanke ich mich herzlich für die erfreuliche Bekanntschaft und mein Fahrer lädt mich direkt beim paraguayanischen Zoll ab. Wir sind von der nächsten Grenze zwar noch über zweihundert Kilometer entfernt, doch das folgende Gebiet ist so dünn besiedelt, dass man sich für die meisten Grenzübertritte bereits hier den Ausreisestempel abholen muss. Soweit ich weiß gibt es an meinem angestrebten Grenzübergang nach Argentinien keine zuständige Behörde, weshalb ich mich bereits hier abmelden sollte.
Durch die Mittagshitze laufe ich zum Zollamt und klopfe an die verschlossene Tür. Nichts. Ich versuche es bei der nächsten, dann noch eine und noch eine, bis ich mich durch das gesamte Gebäude geklopft habe. Kein Lebenszeichen. Vermutlich sind die Zöllner gerade beim Essen, denke ich mir und entscheide mich dazu ebenfalls ein paar Brote zu verdrücken. Nach etwa einer Stunde erweist sich meine Theorie als korrekt und ein paar Mitarbeiter betreten das Gelände. Als ich ihnen meinen Pass vorhalte und zu verstehen gebe, dass ich einen Stempel benötige, verweisen diese mich allerdings auf ein anderes Migrationsbüro nebenan. Ich habe also umsonst gewartet.
Dort angekommen, treffe ich ebenfalls auf eine verschlossene Tür, höre jedoch zwei Frauenstimmen im Inneren eine Konversation führen. Ich klopfe und die Besitzerin einer der Stimmen tritt mir entgegen. Ich sehe mich mit einer kurpulenten Dame mittleren Alters konfrontiert, die mich wütend anstarrt, als wäre es eine Unverschämtheit sie beim nichts tun zu stören. Anscheinend scheinen hier tatsächlich nicht viele Reisende vorbei zu kommen. Zu all dem möchte mir die Dame keinen Stempel geben, da es an der bolivianischen Grenze eine weitere Behörde gebe. Ich brauche drei Versuche, um ihr klar zu machen, dass ich allerdings nicht nach Bolivien, sondern nach Argentinien möchte. Im Endeffekt muss ich sogar auf den klar und deutlich mit „Salida“ beschrifteten Stempel zeigen und darauf bestehen, dass sie mir diesen in den Pass drückt. Mir scheint, als wäre es für sie völlig unverständlich, dass jemand von hier direkt nach Argentinien möchte. Keine guten Neuigkeiten für mich und meine geplante Route.
Mit einem unwohlen Gefühl und bereits offiziell aus Paraguay abgemeldet, mache ich mich daraufhin dennoch auf den Weg zur Kreuzung, wo meine Straße die Routa Transchaco verlässt. Bis zur argentinischen Grenze sind es von hier noch genau 215 Kilometer.
Obwohl alles dagegen Spricht, habe ich die Hoffnung auf einen glücklichen Zufall und setze mich an den Straßenrand um zu warten. Und warte und warte und warte. Bis das erste Auto vorbeikommt vergeht eine volle Stunde und dessen Fahrer sagt mir, dass er nur bis zu seiner etwa sechzig Kilometer entfernten Farm fahre. In dieser Wildnis wäre es jedoch eine idiotische Entscheidung von jeglicher Zivilisation abgeschnitten zu sein und so entscheide ich weiterhin auf meinen Erlöser zu warten. Etwa 90 Minuten später kommt ein weiteres Fahrzeug vorbei, dessen Geschichte ziemlich der seines Vorgängers gleicht. Dieser erzählt mir allerdings noch, dass ich hier keine großen Chancen haben werde. Vielleicht käme in den nächsten zwei bis drei Tagen mal ein passendes Fahrzeug vorbei. Außerdem würde diese Route eigentlich nur von Schmugglern benutzt werden, da außer denen niemand so verrückt wäre eine solche Reise anzutreten.
Diese unasphaltierte Straße führt grob 200km geradeaus und der Fahrer meinte zu mir, dass es zeitlich bis zur Grenze in etwa der gleichen Strecke, wie von Asuncion bis hierher entspricht. Wir reden hier also von etwa zehn Stunden für zweihundert Kilometer…
Nachdem ich mein Glück noch etwa eine weitere Stunde erfolglos herausfordere, entscheide ich mich dazu meinen Plan zu ändern. Es geht also doch nach Bolivien.
Hitchhiking-Regel N° 10: Gestehe dir deine Niederlage ein. „Nichts ist unmöglich“ ist eine Lüge.
Ich gehe wieder zurück zur Routa Transchaco und durchquere das Dorf, um an dessen Ausgang zu gelangen. Auf dem Weg decke ich mich noch mit neuen Wasserreserven ein, da diese in der Hitze schneller verschwunden sind, als ich es mir ausgemalt habe. Wenn ich hier sterbe, dann möchte ich wenigstens von einem Alligator gefressen werden, aber doch nicht verdursten.
Am Ortsende angekommen finde ich wiedermal eine alte Bushaltestelle und mache es mir dort gemütlich. Auf dieser Straße gibt es wieder mehr Verkehr und meine Hoffnung auf eine Mitfahrgelegenheit steigt. Es sind auffallend viele Tanklaster unterwegs und ich erinnere mich daran, dass diese Straße Hauptsächlich dafür gebaut wurde, um das in Bolivien geförderte Erdöl nach Paraguay und den gesamten Osten Südamerikas transportieren zu können. Das einzige Problem daran ist, dass dich Gefahrenguttransporter niemals mitnehmen werden.
Obwohl ich schon seit mehreren Stunden mitten im Nirgendwo gestrandet bin habe ich ausgesprochen gute Laune, höre Musik und fange an dazu zu tanzen. Ich möchte mir allerdings nicht ausmalen, wie das für einen Außenstehenden aussieht. Da ich außer zu warten und gelegentlich mal aufzuspringen nichts zu tun habe, hier ein kleines Update zu meinem Bart- und Haarwuchs im Abendlicht der untergehenden Sonne. Zum Vergleich ein Foto aus meiner Zeit in Buenos Aires.
Irgendwann ist es so dunkel geworden, dass ich es aufgebe und mein Vorhaben auf den nächsten Tag verschiebe. Zunächst suche ich mir einen Platz zum Zelten, doch entscheide mich dann dazu die Nacht an der nahegelegenen Tankstelle zu verbringen, da mir dies in Anbetracht der Situation sicherer erscheint. Ich kaufe mir etwas zu Essen und setze mich auf deren Terasse, um die Zeit totzuschlagen. Irgendwann komme ich mit einem wie ein Cowboy gekleideten Mann ins Gespräch, der mir erzählt, dass er schon seit ganzes Leben in diesem Dorf verbracht hat. Sie haben es gut hier, meint er zu mir. Zwar seien alle arm, doch man helfe sich gegenseitig und sei keinen Gefahren wie in Asuncion ausgesetzt. Dort würden sie dich sogar für eine Packung Zigaretten erschießen, heißt es mal wieder.
Während wir uns unterhalten gesellen sich drei seiner Freunde zu uns und wir verbringen den Abend gemeinsam. Sie sind allesamt indigener Abstammung und sprechen nur gebrochen Spanisch, sodass ich von Zeit zu Zeit das Gefühl habe, das selbst ich einen größeren Wortschatz besitze. Auf Grund dessen versuchen sie mir ein paar Dinge auf Guaraní beizubringen und alle Lachen bei meinen Versuchen diese unaussprechlichen Laute von mir zugeben.
Ohne herablassend klingen zu wollen, erfahre ich auch das erste Mal, was es wirklich bedeutet in seinem Leben keine oder kaum Bildung erfahren zu haben. Als wir über einen parkenden LKW sprechen, bemerke ich wie drei von Ihnen große Mühen haben dessen Aufschrift zu entziffern. Buchstabe für Buchstabe rätseln sie an dem aufgedruckten Wort und kommen im Endeffekt dennoch auf ein völlig Falsches. Nicht alleine deswegen tun sie mir Leid, denn außerdem bin ich mir sicher, dass sie allesamt schwere Alkoholiker sind. Drei von ihnen sind nicht mal 1,50m groß und haben dennoch, während wir uns unterhalten haben, eine beachtliche Menge Schnaps verdrückt. Der negative Effekt davon ist, dass meine anfangs sehr angenehme Gesellschaft mit der Zeit etwas aufdringlich wird und ich mich nicht mehr ganz so wohl fühle.
Irgendwann kommt dann die Frage auf, wo ich heute schlafen würde, und alle sind Feuer und Flamme dafür mir eine Unterkunft zu organisieren. Der eine bietet mir an, bei seiner Tante schlafen zu können und läuft, ohne dass ich etwas erwiedern kann, sofort los. Überrascht bin ich, als seine „besten Freunde“ daraufhin zu mir sagen, dass sie ihm nicht vertrauen würden und ich lieber zu ihnen kommen sollte. Das gleiche Spiel wiederholt sich, als sich der kleinste unter ihnen kurz entfernt, nachdem er mir angeboten hat, mich mit seinem Motorrad nur ein paar hundert Meter in den Busch zu seiner Hütte fahren zu können (er sagte, dass er trotz seines Pegels noch fahren könne, da er ja immer betrunken sei und es gewohnt ist. Außerdem sei es nicht schlimm, dass er am Motorrad kein Licht habe, denn der Mond würde ihm den Weg läucht. Der Arme hat wohl völlig übersehen, dass der Himmel an diesem Abend ziemlich wolkenverhangen war).
Dass ich mich im Leben nicht auf sein Motorrad setzen werde, ist klar. Jedoch finde ich den Umstand, dass sich alle gegenseitig ausspielen deutlich besorgniserregender. So respektvoll wie möglich, mache ich ihnen klar, dass ich an der Tankstelle bleiben werde und bedanke mich für ihre Angebote. Daraufhin sagen mein ehemaligen Freunde nur, dass die Tankstellenbetreiber die wahren Kriminellen seien und lassen mich allein. Ich habe den schweren Verdacht, dass ich ihnen gerade die Möglichkeit genommen habe, einen wohlhabenden Europäer auszurauben. Deswegen ein wenig paranoid, setze ich mich im Inneren der Tankstelle an einen Tisch und kette meine beiden Rucksäcke an den Stuhl auf dem ich mich befinde. Auf Grund des anstregenden Tages schlafe ich sehr schnell ein.
Es ist unglaublich, wie sich das menschliche Gehirn selbst im Schlaf auf Alarmbereitschaft stellen kann. Bei dem leisesten Geräusch bin ich in dieser Nacht aus meinem Schlaf geschreckt, um zu überprüfen, ob ich mich gerade in Gefahr befinde. Außer mir und dem Tankstellenmitarbeiter war jedoch niemand da und dieser hat mich auch in Ruhe schlafen lassen. Vermutlich ist er doch nicht so kriminell, wie meine Gesellschaft mir zu vermitteln versucht hat.
Am nächsten Morgen nehme ich ein bescheidenes Frühstück ein und begebe mich wieder zur gleichen Bushaltestelle wie am Vortag. Es stellt sich mal wieder heraus, dass die Chancen auf eine Mitfahrgelegenheit morgens am Besten stehen, denn schon nach wenigen Minuten hält ein Baustellenfahrzeug an, dass mich bis zur bolivianischen Grenze bringen kann. Ich habe sogar doppelt Glück, denn dieses bringt mich bis zum von mir angepeilten Übergang im Süden des Landes. Der Hauptverkehr folgt auf Grund besserer Straßenverhältnisse nämlich der Transchaco bis zu einem Grenzposten, der sich über hundert Kilometer weiter nördlich befindet. Da ich allerdings nach Argentinien möchte nehme ich das Angebot gerne an und springe auf die Ladefläche des Lasters.
Auf der Ladefläche eines Trucks mitfahren, der Traum eines jeden Hitchhikers! Die ersten zehn Minuten freue ich mich riesig darüber. Danach werde ich zurück in die Realität geholt. Die Straße ist auf diesem Abschnitt dermaßen durchlöchert oder gar ungeteert, dass es mich durchschüttelt, als würde man sämtliche Erinnerungen aus meinem Kopf löschen wollen. Ich sitze auf mehreren, jeweils eine Tonne schweren Krangewichten und selbst diese befördert es bei der einen oder anderen Bodenwelle mehrere Zentimeter in die Luft. Damit ihr euch selbst einen Überblick davon machen könnt, folgendes Video:
Sage und schreibe 230km habe ich so verbracht. Dass ich danach einen blauen Hintern hatte, könnt ihr euch sicher vorstellen. Davon abgesehen ist die Fahrt aber recht schön. Der Fahrtwind sorgt für eine willkommene Abkühlung und ich habe eine 270°-Aussicht, um die Weiten des Chacos zu beobachten, welcher im Laufe der Zeit immer dichter und grüner wurde. Deshalb, auf Grund der Hitze und da ich viel Zeit zum Nachdenken habe, taufe ich ihn auf den Namen Grüne Wüste.
Dass wir uns so langsam der Grenze nähern, merkt man daran, dass von Zeit zu Zeit große Baustellen am Straßenrand auftauchen, welche Testborungen für Erdgas bedeuten, wie man mir später sagt.
Nach etwa zwei Stunden auf der Ladefläche passiert mir ein großes Missgeschick. Durch eine Kombination aus Schlagloch und Fahrtwind verliere ich meinen Sonnenhut, was bei der starken Einstrahlung hier tödlich sein kann. Glücklicherweise habe ich noch meine Cap und krame diese kurz darauf aus meinem Rucksack. Als hätte ich aus meinem Verlust nichts gelernt, fliegt allerdings auch diese nur fünf Minuten später mit dem Wind davon. Lebe wohl, geliebte SK-OG-Cap!
Kurz darauf, aber schon zu weit entfernt, halten meine Fahrer plötzlich an. Laut GoogleMaps ist es bis zur Grenze nicht mehr weit und ich frage mich, was los ist. Als meine Fahrer aussteigen, deuten diese auf die Kilometermarkierung und schießen davon jeweils ein Foto mit sich. Wir sind nun 700 Kilometer von Asuncion entfernt.
Nur wenige Minuten später hat die Tortur endlich ein Ende. Trotzdem bin ich überglücklich es bis zur Grenze geschafft zu haben und bedanke mich ganz herzlich bei meinen Fahrern. Da ich heute noch einiges vor mir habe, begebe ich mich schnell zum Migrationsbüro, um mir einen Einreisestempel für Bolivien geben zu lassen. Ich hoffe nur, dass es dabei keine Probleme gibt, da ich ja offiziell bereits gestern aus Paraguay ausgereist bin. Dort angekommen, wird mir jedoch signalisiert, dass sich alle Mitarbeiter gerade in einer Besprechung befinden und ich zu warten habe. Das mache ich dann auch.
Ich weiß nicht, was es zu besprechen gibt, aber es dauert ziemlich lange. Völlig erschöpft sitze ich also vor dem Zoll auf den Boden und schlage die Zeit tot, in dem ich mir die Umgebung ansehe. Allerdings gibt es nicht viel zu berichten. Am Grenzposten auf bolivianischer Seite wird gerade gebaut, was auch erklärt, weshalb meine Mitfahrgelegenheit hier hin musste. Der Ort scheint völlig ausgestorben und außer mir sind hier nur zwei Trucker. Diese kommen vom nahegelegenen Kieswerk und machen vor der Heimfahrt nach Paraguay nur eine kurze Pause im Schatten des Grenzüberganges. Ein potentieller Lift für Bolivien ist also ausgeschlossen. Das interessanteste, was ich finden kann, ist dieser Tisch der Zollbeamten. Wenn ihr den Smiley nicht auch seht, dann habe ich auf Grund der Hitze definitiv begonnen zu halluzinieren.
Nach einer guten Stunde geben mir die Beamten endlich ein Zeichen und ich kann eintreten. Wegen meines Ausreisestempels gibt es überhaupt keine Probleme und ein bisschen Papierkram später, befinde ich mich auf dem Weg nach Bolivien. Im Niemandsland zwischen beiden Grenzposten kaufe ich noch geschwind etwas zu trinken, da meine Wasserreserven schon wieder erschöpft sind. Ich weiß zwar nicht, mit was der gute Mann hier seinen Lebensunterhalt bestreitet, aber der Grenzverkehr wird dafür nicht die Grundlage sein. Es gibt diesen nämlich nicht. Jedenfalls tauscht der Herr mir meine letzten Guaraní in Bolivianos um und das sogar zu einem ziemlich guten Wechselkurs, wie ich später erfahre. Danach passiere ich die andere Grenze, welche auf Grund der Bauarbeiten gerade geschlossen ist, und bin drin. Ich bin in Bolivien, wo ich ursprünglich garnicht hinwollte!
Habe ich bereits erwähnt, dass die bolivianische Grenze derzeit geschlossen ist? Bedeutet das dann auch, dass diese niemand überqueren wird? Scharf kombiniert Watso-.. Remi! Ich stehe also an einem unpassierbaren Grenzübergang und das nächste Dorf ist rund sechzig Kilometer von hier entfernt. Wer soll bitte hier vorbei kommen und mich mitnehmen? Zudem brennt die Sonne mit aller Kraft auf mich herunter und ich habe nicht mal mehr eine Kopfbedeckung. Man könnte sagen, dass ich ganz schön tief in der Scheiße stecke.
Für den Fall, dass doch jemand über die Grenze oder den nebenan einmündenden Feldweg kommen sollte, möchte ich diesen nicht verpassen und laufe ein paar Schritte, um hinter die „Kreuzung“ zu gelangen. Dort suche ich beim einzigen Gegenstand Schutz, der mir zumindest ein wenig Schatten spendet. Ja, es ist wahr: Ich habe mich zwei Stunden an den Betonpfeiler eines Straßenschildes gelehnt, um der Sonne zu entkommen. Wer glaubt, dass ich da gemütlich, mit dem Rücken gegem den Pfeiler saß, hat allerdings noch immer ein falsches Bild davon. Nur stehend, längs, mit einem Arm gegen den dünnen Pfeiler gedrückt, war es möglich sich vollständig im Schatten zu befinden. Und glaubt mir eines: Man tut sich das nicht an, wenn auch nur teilweise in der Sonne stehen eine Option gewesen wäre.
Nach besagten zwei Stunden geschieht tatsächlich das Wunder. Über den Feldweg rollt ein Pick-Up Truck an! Er hält an und zwei Bolivianer sagen mir, dass sie zu einem etwa zehn Kilometer entfernten Kieswerk fahren. Das ist zwar nicht besonders viel, aber in meiner aussichtslosen Lage würde ich sogar zusagen, wenn mir jemand anbietet, mich fünfzig Meter auf seinem Rücken zu tragen.
Schon wieder auf der Ladefläche. Und Fahrtwind! Ich wäre gerne Stunden auf dem Pick-Up geblieben, doch leider ist die Fahrt nach wenigen Minuten schon vorbei. Wo ich mich nun befinde gibt es laut den Männern mehrere Kieswerke. So seien meine Chancen hier eventuell höher und das will ich auch hoffen. Dennoch verbringe ich eine weitere Stunde mit warten, ohne das ein Fahrzeug an mir vorbei fährt. Wenigstens zieht der Himmel etwas zu und die Hitze ist nicht mehr ganz so unerträglich. Als Kopfbedeckung dient mir übrigens mittlerweile mein T-Shirt. Man muss sich halt mit dem helfen, was man hat.
Dann habe ich richtig Glück. Irgendwann kommt ein weiteres Auto vorbei, das sowohl Platz hat, als auch bis in die nächste Stadt fährt. Diese heißt Villamontes und befindet sich rund hundert Kilometer von meinem jetzigen Standort entfernt. Das bedeutet, dass sie sich genau am Rand des Chacos befindet, welcher sich übrigens über Paraguay, Bolivien, Argentinien und Brasilien erstreckt.
Auf der mehr als zweistündigen Fahrt kommen wir an einigen Ölförderanlagen vorbei und halten an einem mennonitischen Bauernhof. Schon wieder diese Mennoniten. Allerdings lebt diese Familie im Gegensatz zu deren Genossen in Paraguay sehr traditionell. Dies sieht man daran, dass Mutter und Töchter, welche gerade dabei sind die Kühe zu melken, ihre Haare sowohl unter einem Kopftuch, als auch unter einem eng unter dem Kinn zusammengebunden Sonnenhut verstecken. Dazu tragen alle, das gleiche bodenlange Kleid. Vater und Sohn haben dagegen einen Cowboyhut, karierte Hemden und eine Latzhos an. Sie leben hier ohne Strom und jegliche Form des Fortschritts. Auch Motoren und Autos werden nicht verwendet. So habe ich also für wenige Minuten die Möglichkeit noch einen Einblick in das Leben der mennonitischen Hardliner zu bekommen. Nachdem mein Fahrer mit dem Hausherrn die Konditionen für den Kauf einer Kutsche ausgehandelt hat, setzen wir uns wieder in Bewegung. Bald kommen wir in Villamontes an und es ist offiziell: Ich bin am Rande des Chacos angekommen.
Über eines freue ich mich allerdings am meisten: Das erste Mal in Südamerika sehe ich richtige Berge vor mir aufragen. Darauf habe ich solange gewartet! Nach der langen Zeit im Flachland, war ich kurz davor verrückt zu werden. Ich brauche einfach eine Erhebung am Horizont, um mich wirklich wohl zu fühlen.
Wie ihr seht ist es bereits dunkel und ich suche mir schnell eine günstige Unterkunft nahe des Busbahnhofs. Es ist nicht verwunderlich, dass ich dort ganz schnell einschlafe. Das waren die vielleicht extremsten zwei Tage meines Lebens.
Deine Berichte werden immer abenteuerlicher, mir rutscht ja schon beim Lesen das Herz in die Hose 😉 Respekt wie du dich da so alleine durchwurschtelst 🙂 Pass auf dich auf
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Ich versuche schon immer die richtige Balance zwischen Abenteuer und Sicherheit zu finden 😉
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Hallo Remi,
ich wollte Dir auf diese Weise einmal herzliche Grüße aus Deiner Heimatstadt schicken.
Da Annkatrin mir Deinen Blog nannte, schaue ich immer mal wieder rein um zu sehen wo Du Dich gerade aufhälst und verweilst.
Diese Reise ist nun zu Deinem eigenen Abendteuer geworden in dem Du viele Menschen triffst und neue Kulturen kennen lernst.
Ich freue mich für Dich das es Dir gut geht und hoffe das Du im Verlauf Deiner weiteren Reise weiterhin gesund bleiben wirst.
Liebe Grüße
Klaudia
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Hallo Klaudia,
es ist sehr lieb, dass auch du in der Heimat an mich denkst 🙂
Mir geht es sehr gut und ich habe noch viele Dinge mehr erlebt, als bisher auf diesem Blog veroeffentlich wurden… Das heisst im Umkehrschluss, dass ich mal wieder ein bisschen arbeiten muss. 😉
Liebe Gruesse aus Rio de Janeiro,
Remi
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Dear Remi,
sounds like quite the adventure. Certainly does not entice me to hitchhike my way through South America, although I am certain I would need less water. A bit of a pity you didn’t get in the back of that bike, drunk riding with moonshine sounds pretty romantic to me.
Greetings from an old admirer
ps. definitely see the smiley
pps. your beard look handsome
ppps. I will be making all future travel decisions
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