Unter Mennoniten 

Eine deutsche Exklave in Paraguay? 

Ich habe es also tatsächlich bis in den Chaco geschafft und für die erste Nacht eine Unterbringung in Menno gefunden. Nachdem ich zunächst in einem leerstehenden Haus geschlafen habe, luden mich Esteban und seine Familie doch ein, die folgenden Tage bei ihnen daheim verbringen zu können. Das hat dazu geführt, dass ich im Endeffekt vier volle Tage in der Mennonitenkolonie geblieben bin. Esteban, seine Frau Karin und deren sechsjährige Tochter Emma waren dabei so gastfreundlich, wie ich es mir nie hätte vorstellen können. 

Sie leben in einem bescheidenen Haus am Nordende der Hauptstraße, welches zur Hälfte aus einem Modegeschäft besteht. Tagsüber empfängt Karin dort ihre Kunden und nachts diente es mir als Schlafplatz. Ich muss sagen, dass ich es dort echt nicht ungemütlich hatte. 

Esteban arbeitet hingegen im lokalen Schlachtbetrieb. Eine seiner ersten Fragen an mich war, ob ich Vegetarier sei. Als ich verneinte, haben wir uns kurz darauf in sein Auto gesetzt und sind zu seinem Arbeitsplatz gefahren. Dort hat er mir den gesamten Schlachthof gezeigt und mir die einzelnen Verarbeitungsschritte erklärt. Ich denke es war eine sehr wertvolle Erfahrung mal mit eigenen Augen zu sehen, was alles hinter den abgepackten Steaks steckt, die wir im Supermarkt erwerben. Dennoch sind dessen Bilder vielleicht nicht jedermanns Sache, weshalb ich diese in einem externen Webalbum für euch zusammengefasst habe. Wer möchte kann sich diese hier ansehen. 

Das ökonomische Herz der Kolonie ist die Chortitzer Kooperative, zu der auch der Schlachthof gehört. Schon immer beruhten die Grundsätze der mennonitischen Siedler auf dem Wirtschaften als Gemeinschaft und so ist es nicht verwunderlich, dass diese bereits vor fünfzig Jahren ihre Kooperative ins Leben riefen. Sei es für Fleisch oder Milchprodukte, alles läuft hier über die Gemeinde und wird im Endeffekt als große Marke in Paraguay, ganz Amerika und bis nach Europa vertrieben. Genau das ist dann Estebans Aufgabe, da dieser für den Export der Fleischprodukte zuständig ist. 

Mennoniten, Kolonie und deutsche Siedler. Wovon redet der hier eigentlich die ganze Zeit? Bis ich mich ein wenig darüber informierte und das örtliche Museum besuchte, hatte ich auch keinen blassen Schimmer davon. 

Als Mennoniten bezeichnet man eine Täufergemeinschaft, die auf den friesländischen Theologen Menno Siemons zurürckgeht. Sie sind geschichtlich und in ihren Prinzipien eng mit den Amischen verbunden, die vielleicht mehr Leuten ein Begriff sind. Heute gibt es von den Mennoniten viele verschiedene Auslegungen und Kolonien auf der ganzen Welt, die sich zwischen uktrakonservativ und sehr modern bewegen. Manche lehnen noch heute jeden Fortschritt ab und andere sind unter unsereins in keiner Weise als solches erkennbar. Worin sich allerdings alle Mennoniten gleichen, sind ihre Grundprinzipien: Darunter versteht man im wesentlichen die Erwachsenentaufe welche als bewusste Religionsentscheidung erfolgen soll. Außerdem lehnen sie jegliche Anwendung von Gewalt ab und treten für eine klare Trennung zwischen Staat und Kirche ein. Die Gemeinde in der ich mich befinde gehört mittlerweile zu den Modernen und wirtschaftlich Angepassten.

Menno hat eine lange und bewegte Geschichte. Deren Vorfahren siedelten in Norddeutschland, weshalb man hier als Umgangssprache das Platdeutsch verwendet. Für mich klingt das mehr nach Flämisch und ich habe große Mühen überhaupt ein einziges Wort zu verstehen. Auf Grund verschiedener Ereignisse wie der Einführung allgemeiner Wehrpflichten und der Einschränkung von Religionsfreiheit oder Autonomierechten zogen deren Vorfahren durch die halbe Welt. 1536 gab es die erste Bewegung von Holland nach Ostpreußen, wo diese zunächst eine Weile blieben und sich breit machte machten. Ab 1789 gab es eine zweite Umzugswelle auf die Krim in der heutigen Ukrain.. ich meine natürlich Russland. Nachdem 1804 dort alle Siedler angekommen waren, ging es kaum sechzig Jahre später geschlossen wieder weiter nach Kanada und bereits 1926 von dort nach Paraguay. Es gibt also eine Generation von Siedlern, die sowohl in Russland, Kanada und Paraguay gelebt hat. Jetzt muss man sich vorstellen, dass die dabei jedes Mal von vorne Anfangen mussten. Für genauere Informationen:

Menno (auf paraguayanischen Karten als „Loma Plata“ geführt) war die erste Mennonitenkolonie, die sich im Chaco niederließ. Damals trafen sie auf diese undurchdringliche Wildnis und eine große Anzahl der Kolonier starb entweder an Krankheiten oder kehrte in den ersten Jahren auf Grund der harten Lebensbedingungen nach Kanada zurück. Erst als ihnen klar wurde, dass es mit dem Ackerbau nicht klappt und sie auf Viehwirtschaft umschwenkten ging es den verbliebenen Einwohnern allmählich besser. 

Wenn hier in der Regel Plattdeutsch gesprochen wird, warum redet Esteban dann perfektes Hochdeutsch mit mir? Die Bibel ist nach wie vor in normalem Schriftdeutsch verfasst und auch in den Schulen wird der Unterricht auf Hochdeutsch abgehalten. Nicht auf Plattdeutsch und tatsächlich auch nicht auf Spanisch! Das hat zum einen traditionelle Hintergründe und zum anderen arbeiten die Kollegen vom Auswärtigem Amt mit allen finanziellen Mitteln daran deutsch als Fremdsprache in der Welt voranzutreiben. Das ist aber alles nicht der Grund dafür, dass Esteban hochdeutsch spricht. Zu einem Teil entstammt er einer deutschen Einwanderer Familie und ist in seiner Kindheit in Ostparaguay bilingual aufgewachsen. Erst hier in Menno hat er dann auch das Plattdeutsch gelernt. Karin, Estebans Frau, ist ebenfalls keine Mennonitin. Obwohl sie schon seit langem hier lebt spricht sie auch kein Plattdeutsch. Das zeigt, dass sich die Einwohner Mennos mittlerweile nach außen geöffnet haben und in der Regel auch Spanisch sprechen. Das war nicht immer so und gilt auch nicht für alle Mennonitenkolonien. 

Auf Grund der wirtschaftlichen Stärke sind mittlerweile viele Nicht-Mennoniten in die Kolonie gezogen, doch der deutsche Einfluss ist nach wie vor unverkennbar. Vor allem Straßennamen, Schilder und andere Aushänge sind überwiegend auf deutsch. Selbst im Supermarkt wird man mit „Guten Tag“ angesprochen. Um meine Eingangsfrage zu beantworten, würde ich diesen Ort allerdings nicht als deutsche Exklave bezeichnen. Dafür sind die, sich schon seit vielen Generationen nicht mehr in Deutschland befindlichen, Kolonier von unserer heutigen Bundesrepublik und unserem Lebenstil einfach zu weit entfernt. Interessant ist es jedoch allemal. 

Woran man erkennt, dass die Leute hier in einer gewissen Weise auch echte Südamerikaner sind, ist ihre Liebe zum Grillen. Verstärkt wird dies natürlich dadurch, dass das Fleisch an kaum einem anderen Ort frischer sein wird als hier. Mindestens jedes zweite Mahl, das ich mit meiner Gastfamilie eingenommen habe, bestand aus Gegrilltem. Und wer denkt, dass ich mich durch den Schlachthof in einen Vegetarier verwandelt habe, liegt damit ganz falsch. Bei dieser Fleischqualität würde sich selbst ein Veganer zwei Stufen zurück entwickeln. Man, habe ich gut gegessen. 

Neben den Zutaten braucht man beim Grillen hier übrigens nichts als eine Unterlage, ein Messer und genügend Gabeln für alle Personen. Der Grillmeister schneidet dann immerwieder die verschiedenen Stücke in mundgerechte Portionen und alle anderen picken sich nach Belieben das Essen heraus. Dadurch wird eine sehr freundliche und unglaublich familiäre Stimmung beim Essen geschaffen. Und man muss weniger abwaschen. 

An einem Abend waren wir bei Freunden der Familie zum Grillen eingeladen und der Vorgang des Aufschneidens und Pickens zog sich über mehrere Stunden hinweg. Unsere Gastgeber waren Mennoniten, die jedoch viele Jahre in Kanada verbracht haben. So war unsere Gesprächsrunde ein wilder Mix aus Englisch, Deutsch, Spanisch und Plattdeutsch. Nichts desto trotz habe ich mich an diesem Abend hervorragend unterhalten und riesen Spaß gehabt. Hoch leben die paraguayanisch-deutsch-mennonitischen Grillabende!

Nun habe ich so viel von den Mennoniten und noch gar nichts wirklich vom Chaco erzählt. Der oben dargestellte Baum ist sehr typisch für die hiesige Vegetation und zeigt welchen extremen Konditionen die Lebewesen hier ausgesetzt sind. Während der Regenzeit verbreitet sich sein Bauch extrem, da er wie ein Schwamm das Wasser aus dem Boden saugt. Dies ermöglicht ihm die für alle Lebewesen kritische Trockenzeit zu überstehen. Sein Stamm schrumpft dann wieder auf die Maße eines gewöhnlichen Baumes zusammen. 

Selbstverständlich gibt es hier nicht nur Pflanzen, sondern auch wilde Tiere. Mit Emma habe ich mir bespielsweise mal einen Spaß daraus gemacht, ein paar Straußen durch den Garten zu jagen. Leider habe ich diese jedoch nicht vor die Linse bekommen. Dafür habe ich ein Foto von Capybaras: Das sind friedliche Nagetiere, die wie riesige Meerschweinchen aussehen. 

Am Sonntag haben wir dann einen kleinen Ausflug in die Weiten des Chacos gemacht, wodurch ich noch mehr zu sehen bekam. Auf dem Weg sind wir an einem See vorbei gekommen, in dem es sich ein Kaiman gemütlich gemacht hat. Das Highlight des Trips war allerdings der See, in dem es keine Kaimane zu sehen gab. Durch die Regenzeit war dieser randvoll gefüllt und bildete einen immensen Spiegel, in dem sich der mit Wolken gefleckte Himmel wiedergab.  

Geplant war ursprünglich, am Seeufer zum Mitagessen zu grillen, doch wir konnten dort nur wenige Minuten bleiben. Die Mücken hatten uns den Krieg erklärt und überfielen uns trotz Abwehrspray mit voller Manneskraft. Es war ein aussichtsloser Kampf und wir waren uns alle einig schnell den Rückzug anzutreten. Dennoch möchte ich euch nicht ein weiteres Foto dieses, nichts desto trotz, wunderschönen Ortes vorenthalten. 

Schlussendlich kann man sagen, das ich bei Karin, Esteban und Emma eine hervorragende Zeit verbracht habe. In Ihrer Gastfreundschaft haben sie mir sowohl den Chaco, als auch das Leben der Mennoniten näher gebracht. Sie haben mich ernährt und mir einen Platz zum Schlafen gegeben. Ich bin ihnen für das alles sehr dankbar. 

Zu guter letzt noch ein Foto von Emma, wie sie auf ihrem Quad durch den Garten kreuzt. Ich wünsche der Kleinen, die ich sehr ins Herz geschlossen habe, alles Beste für die Zukunft. 

P.S.: Ich habe doch ein Foto mit den Straußen drauf entdeckt. Wer sie zuerst findet hat gewonnen. 

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