Punta del Este

„Es gibt im Weltall kein oben und unten. Was gibt der Ersten Welt dann das Recht auf Karten immer oben dargestellt zu werden?“, fragt sich der Uruguayer Joaquín Torres García und dreht den Spieß einfach um. Mit voller Überzeugung sagen die Uruguayer: „Nuestro norte es el sur.“

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Am Donnerstag hat es endlich aufgehört zu regnen. Auf Grund des zweitägigen Wolkenbruchs habe ich von Montevideo zwar nicht besonders viel gesehen, aber ich verspüre am Morgen einen starken Drang weiterzureisen. Deshalb entscheide ich mich dazu an diesem Tag mit dem Bus nach Punta del Este zu fahren.

Um noch ein paar Eindrücke der Stadt sammeln zu können, ändere ich spontan den Plan und laufe die fünf Kilometer zum Busbahnhof, anstatt ein Colectivo zu nehmen. Angesichts der bereits bestehenden Hitze ist das vielleicht keine weise Entscheidung, aber ich bekomme tatsächlich nochmal ganz gut etwas zu sehen. Sollte ich mich mal entscheiden müssen, ob ich in Buenos Aires oder Montevideo leben möchte, dann würde ich auf jeden Fall letzteres wählen. Diese Stadt strahlt trotz seiner Größe Ruhe und Gelassenheit aus, wovon bei Buenos Aires überhaupt nicht die Rede sein kann.

Am Busbahnhof sichere ich mir eine Fahrt nach Punta del Este für 18 Uhr. Somit habe ich noch viel Zeit in Montevideo und ich weiß auch schon, wie ich die nutzen kann. Nicht weit von hier befindet sich das größte Fußballstadion des Landes, welches auf Grund seiner geschichtsträchtigen Vergangenheit ein Museum beherbergt. Nachdem ich mein Gepäck zur Aufbewahrung gegeben habe, mache ich mich dorthin auf den Weg.

Die gesamten sportlichen Aktivitäten der Stadt scheinen hier auf einen Ort konzentriert zu sein und so laufe ich durch einen großen Park mit den verschiedensten Sportplätzen und Anlagen. Auch an einem kleinen Bolzplatz komme ich vorbei auf dem gerade ein paar Schüler Fußball spielen. Dahinter kann man schon das Stadion erahnen.

Um zum Eingang des Estadio Centenario zu gelangen, nehme ich die falsche Richtung und laufe fast eine ganze Runde um das Stadion herum. Wenigstens habe ich so schon mal einen ersten Eindruck seiner Größe gewonnen. Es wurde 1930 als Austragungsort der ersten Fußballweltmeisterschaft erbaut und konnte damals bis zu 100.000 Leute aufnehmen. Wie auch in Europa, wurden heute die Stehplätze abgeschafft. Somit können heute noch gute 60.000 Personen dort Platz nehmen.

Das Museum besteht aus einer Mischung von Nationalstolz mit internationaler Fußballhistorie. Uruguay ist ein kleines Land – eingequetscht zwischen Brasilien und Argentinien – und umso stolzer sind seine Einwohner auf ihre erfolgreiche Fußballgeschichte. Zwei Weltmeistertitel und unzählige andere internationale Erfolge kann Uruguay sein Eigen nennen. Vier mal wurde im Estadio Centenario die Copa América ausgetragen und nicht ein einziges Mal hat Uruguays Nationalmannschaft dort verloren. Angesichts dessen, dass dieses Land nicht mal halb so viele Einwohner wie die Schweiz hat, ist das schon beachtlich.

Nachdem mein Kopf mit Fußballgeschichte gesättigt ist, gehe ich mir das Stadion selbst ansehen. Ich setze mich auf den hintersten Zuschauerrang und lasse diesen gewaltigen Ort auf mich wirken. Bedauerlicherweise ist es gerade menschenleer und so nutze ich die Ruhe, um mir zumindest vorstellen zu können, wie die Stimmung hier bei einem Topspiel sein muss.

Im Anschluss fahre ich noch mit dem Aufzug auf den 60m hohen Aussichtsturm des Stadions, von wo man einen herrlichen Rundumblick über die gesamte Stadt hat. Tatsächlich ist Montevideo echt nicht klein. So langsam wird es Zeit Buenos Aires nicht mehr als Maßstab für alles zu nehmen.

Danach mache ich mich wieder auf den Weg zum Busbahnhof. Dort esse ich etwas und warte noch eine gute halbe Stunde auf meinen Bus. Das wechselhafte Wetter hat mir ziemlich zu schaffen gemacht und so bin ich froh, nicht die Entscheidung getroffen zu haben per Anhalter zu fahren. Ich kann mich nun einfach in den Bus setzen und schlafen, während mich der Busfahrer die 130km nach Osten befördert.

An meinem Zielort angekommen begebe ich mich nur noch zu meinem gebuchten Hostel und schmeiße mich ins Bett. Meine Erkältung und die heutige Hitze scheinen sich verbündet zu haben, um gemeinsam von Innen gegen meine Stirn anzurennen. Schlaf ist bekanntlich das beste Mittel gegen Kopfschmerzen…

Punta del Este

Am nächsten Tag geht es mir deutliche besser. Ich nehme ein ausgiebiges Frühstück und gehe auf einen Spaziergang an den Strand. Ich nutze die Gunst der Stunde um ein paar Fotos der berühmtesten Attraktion von Punta del Este zu machen, bevor ganze Horden von Touristenbussen hier auftauchen und das Motiv zerstören. Darf ich Vorstellen: Die Hand im Sand.

Mein Reiseführer hatte mich bereits vorgewarnt, aber ziemlich schnell wird mir klar, dass ich diesen Ort nicht besonders mag. Punta del Este gilt als das Monte Carlo Südamerikas. Vor allem die Schönen und Reichen Brasiliens und Argentiniens kommen hier für Ihren Sommerurlaub hin, um es sich unter Gleichgesinnten gut gehen zu lassen. Während der Hochsaison (Dezember/Januar) verzehnfacht sich die Bevölkerungszahl Punta del Estes von 20.000 auf 200.000 Einwohner! Das ganze geschieht natürlich nicht grundlos: Es gibt hier eine Stadt voller Angebote für Touristen und viele schöne Strände. Dahinter reiht sich allerdings ein Hotelbunker an den nächsten, was das ganze meiner Meinung nach ziemlich zunichte macht. Aktuell scheinen die alle unbewohnt zu sein und ich bin mir nicht sicher, ob ich das gut oder schlecht finden soll…

Zurück im Hostel beschließe ich mich in diesem Ort nicht lange Aufhalten zu wollen. Nach dem Check-Out bleibe ich allerdings noch, um den letzten Artikel zu schreiben. Außerdem telefoniere ich eine Weile mit Marc und beides nimmt deutlich mehr Zeit als geplant in Anspruch. Also entscheide ich noch einen Tag zu bleiben, denn die Sonne knallt bereits wie wild vom Himmel. Ich plane wieder per Anhalter weiterzureisen und das möchte ich mir bei dieser Mittagshitze nicht antun.

Am Vortag hatte ich aus Versehen den Frauenschlafsaal gebucht, wo sie mich, aus mir unerklärlichen Gründen, einfach nicht rein lassen wollten. Also musste ich den deutlich teureren Männerschlafsaal nehmen und deswegen wechsle ich an diesem Tag zu einem günstigeren Hostel. Danach verbringe ich eine Weile mit dem Ziel etwas Geld abzuheben, da das schon in Montevideo nicht geklappt hat und ich schon von meinen Euro-Reserven zehren musste. Während ich fast die gesamte Stadt nach einem funktionierende Geldautomaten ablaufe, ärgere ich mich über meine Entscheidung einen weiteren Tag hierzubleiben. Ich kann diesen „Malle“-Urlaubsort einfach nicht besonders gut leiden.

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An diesem Nachmittag lerne ich, dass ich in Uruguay nur an den Bankautomaten der Staatsbank Geld abheben kann, dafür aber kostenlos. Ich bin endlich wieder flüssig und feier das gleich mit einem Einkauf im völlig überteuerten Supermarkt. Nach dem Essen leihe ich mir in meinem neuen Hostel ein Longboard aus und verbringe den frühen Abend damit über die Strandpromenaden und durch das hügelige Altbauviertel zu fahren. Ich habe dabei richtig Spaß und auf diese Weise wird mir eines klar: Egal in welcher Situation man gerade steckt, es liegt an dir das Beste draus zu machen. Unzufriedenheit ist ein Produkt deiner selbst und genauso kannst du selbst daran arbeiten diese umzukehren.

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Zurück im Hostel komme ich mit einer Spanierin und einer Brasilianerin ins Gespräch. Nachdem wir gemeinsam einen Mate trinken, gehen wir in eine Bar um die Ecke. Dort gibt es selbstgebrautes Bier und Livemusik. Generell scheinen die Argentinier und Uruguayer eine große Schwäche fürs Brauen zu haben und zaubern so mach wundervolle Bierkreation hervor. Mit dem deutschen Reinheitsgebot ist das zwar nicht vereinbar, aber dafür umso interessanter. Wir verbringen den Abend dort und lachen sehr viel; die beiden sind sehr sympathisch. Die Abendstunden mit dem Longboard und den Beiden haben meinen latent vermiesten Tag definitiv gerettet. Um eine wichtige Erkenntnis reicher gehe ich mit einem guten Gefühl ins Bett.

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P.S.: Ich war die letzten Tage viel unterwegs und habe deshalb nicht die Möglichkeit gehabt etwas zu veröffentlichen. Allerdings arbeite ich daran die letzten Tage Stück für Stück aufzuarbeiten. Ihr dürft also gespannt bleiben.

der remigrant ENDER 1

5 Gedanken zu “Punta del Este

  1. Toll, drei gute Punkte hast Du gemacht, und schön beschrieben.

    1. Für unsd Landeier: Millionenstadt ist nicht gleich Millionenstadt (1-2 Mio ungleich 10-20 Mio). Da ist der Dimensionsunterschied eben ungefähr wie von Stuttgart nach Rom oder Paris.

    2. Städte haben einen eigenen Charakter – auch wenn sie ja eigentlich nur aus Teer, Beton und ähnlichem bestehen, beeinflussen sie die Menschen darin

    3. Aber auch die menschen können rückwirken. Man kann was ganz unterschiedliches draus machen und für sich mitnehmen, je nachdem, was man erlebt, mit wem, und wie man sich drauf einlässt

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