Quebrada de Humahuaca
Nach einer kurzen, kalten Nacht in meinem Hostel in Iruya, klingelt mein Wecker um 5:30 Uhr und reißt mich aus dem Schlaf. Das Dorf ist zwar an das öffentliche Busnetz angebunden, doch es gibt nur zwei Abfahrten pro Tag. Die eine wäre am späten Nachmittag und die andere um 6:00 Uhr morgens. Ich habe mich für letztere entschieden. Also packe ich nach dem Aufstehen schnell meine Sachen und mache mich sofort auf den Weg.
Am Dorfrand wartet der Bus bereits mit laufendem Motor, als ich dort ankomme. Es ist richtig kalt und als ich den Bus betrete sehe ich, dass ich nicht der einzige bin, der sich gut eingepackt hat. So gut wie alle Sitze sind bereits durch dicke Kleiderbündel belegt, aus denen hin und wieder mal ein Gesicht zum Vorschein kommt, an welchen man erkennt, dass die meisten Leute schon wieder ihren Schlaf gefunden haben.
Ich weiß nicht, wie der Busfahrer das gemacht hat, aber er hat alle gefährlichen und steilen Stellen in absoluter Dunkelheit hinter sich bringen können. Außerdem hält er mehrmals an, um Leute ein- und aussteigen zu lassen, was darauf hindeutet, dass es in diesem Teil des Tals noch viele kleine Dörfchen und Niederlassungen mehr geben muss.
Nach gut einer Stunde geht die Sonne auf und wir befinden uns wieder auf der Hauptstraße der Quebrada de Humahuaca. Von nun an geht es gen Süden und das auch bezüglich meines weiteren Reisplans. Zunächst möchte ich ein paar Orte in diesem Tal besuchen, dann weiter nach Salta ziehen und die Bergregion um Cafayate besuchen. Anschließend werde ich weiter bis Mendoza fahren und von dort aus die Grenze zu Chile überqueren, um schlussendlich zum Neujahr in Valparaiso zu sein. Die Operation Süden beginnt.
Der erste Ort, den ich besuchen möchte, ist Humahuaca, wo ich nach der etwa zweistündigen Fahrt aus dem Bus aussteige. Dieses Provinzstädtchen ist gleichzeitig Namensgeber und die größte Niederlassung dieses Hochtals. Als ich ein paar Schritte mache, öffnen gerade die ersten Geschäfte und ich entscheide mich dazu zunächst etwas frühstücken zu gehen. Vom Vortag habe ich noch ein halbes Fladenbrot sowie etwas Käse und setze mich auf den Dorfplatz, um meinen grumelnden Bauch damit zum schweigen zu bringen.
Mit der Zeit füllen sich die Straßen und zeigen, was es bedeutet eines der touristischsten Zentren Argentiniens zu sein. Deshalb ziehe ich mich, nach einem kurzen Besuch in der Touristeninformation, in das nahegelegene archäologische Museum zurück. Dieses ist tatsächlich menschenleer und ich schaue mir die kleine Ausstellung an. Sie zeigt verschiedene Fundstücke aus der Umgebung, die darauf hinweisen, dass das Tal schon seit mehr als 10.000 Jahren von Menschen bewohnt wird. Das ist ganz schön lange her, wenn man bedenkt, was in Europa zu dieser Zeit noch los war.
Das Museum ist nicht groß und so sehe ich mir danach die Stadt an. Die meisten Häuser gehen nicht über das Erdgeschoss hinaus und sind fast ausschließlich in erdähnlichen Farben bemalt. Braun, tiefrot, grau, ocker und weiß sind sowohl die Farben der Stadt, als auch die, der sie umgebenden Berge. Neben dem ist die Stadt ordentlich begrünt und man findet auch den ein oder anderen Kaktus, der so aussieht, als hätte er Morris fürs Zeichen der Lucky Luke-Bände Modell gestanden.
Eigentlich finde ich die Stadt sehr schön, doch mein Bild Humahuacas wird durch die ganzen Touristenmassen und den dadurch verursachten Trubel ein wenig getrübt. Vor allem, als ich um kurz vor zwölf zum Dorfplatz zurückkehre, finde ich dort eine riesige Menschenansammlung vor. Grund dessen ist die Kirche aus dessen Fenster um Punkt zwölf Uhr ein automatisierter Heiliger hervorkommt und ein paar mal langsam grüßt. Es ist zugegeben nicht besonders spektakulär, aber zu einem Besuch in Humahuaca scheint das wohl dazu gehören. Sollte ich jedenfalls ein zweites Mal hierher kommen, werde ich mir das definitiv nicht nochmal antun.
Was ich allerdings als nächstes mache, würde ich zu jeder Zeit wiederholen. Humahuaca ist ja ganz nett, aber der Grund, für den ich wirklich hierhin gekommen bin, ist der sogenannte Hornocal. Darunter versteht sich eine große Felsformation, die aus unterschiedlich oxidierenden Gesteinsschichten ein buntes Wellenmuster an den Horizont zaubert. Dieses Naturschauspiel möchte ich mir nun ansehen und begebe mich dazu an die Brücke über den kleinen Fluss.
Hier suche ich einen Fahrer, denn der Hornocal liegt einige Kilometer außerhalb der Stadt und ein Fußmarsch würde mehrere Stunden dauern. Schnell finde ich, wonach ich ausschau halte und es wartet bereits ein japanischer Tourist mit ihm. Kurze Zeit später taucht dann auch ein Argentinier auf und wir einigen uns darauf uns das Auto zu dritt zu teilen. Es bilden sich nämlich bereits dicke Wolken, welche damit beginnen die Berge mit dunklen Schatten zu überziehen. Um den Hornocal in seiner vollen Pracht bewundern zu können, brauchen wir aber so viel Licht wie möglich, also los geht’s!
Schnell lassen wir Humahuaca hinter uns und durchqueren eine kleine, mit Kakteen übersähte Schlucht. Danach geht es geradlinig auf den nächsten Berg zu und es beginnt langsam anzusteigen. Nach etwa fünfzehn Minuten befinden wir uns am Fuß der Bergflanke und die unbefestigte Straße zieht sich fortan in Serpentinen den steilen Berg hinauf. Mit zunehmendem Höhengewinnen geht ein deutlicher Temperatursturz einher, sodass wir uns bald alle dazu gezwungen fühlen uns eine weitere Schicht überzuziehen.
Unterwegs kommen wir an einem kleinen Dorf vorbei, das lediglich von sieben Familien bewohnt wird, wie uns unser Fahrer erklärt. Sie leben hauptsächlich vom Kartoffelanbau, denn viel mehr würde in dieser rauhen Landschaft auch nicht wachsen. Bei dieser Höhe, trockener Erde und starken Windverhältnissen ist das auch kein Wunder. Kurz bevor wir beim Hornocal ankommen, während unser Fahrer die Besichtungsgebühr an den Wächter des nächstgelegenen Dorfes entrichtet, fängt es sogar kurz an leicht zu schneien.
Die Kälte interessiert uns allerdings nicht mehr, als wir das hier sehen. Wir befinden uns auf sage und schreibe 4350 Höhenmetern und blicken auf die gegenüberliegende Felswand. Das Naturschauspiel ist gewaltig und wenn noch welcher da gewesen wäre, hätte es uns den Atem geraubt.
Unser Fahrer gibt uns Bescheid, dass wir eine halbe Stunde Zeit haben, um uns umsehen können und setzt sich daraufhin wieder ins warme Auto. Wir lassen uns das nicht zweimal sagen und stürzen uns wie drei Verrückte den vor uns liegenden Trampelpfad hinab, um zu einem nähergelegenen Aussichtspunkt zu gelangen. Wir schießen alle einen Haufen Fotos, aber der Japaner stellt uns – ausgestattet mit Gopro, Kamera und Handy – weit in den Schatten. Lassen muss man ihm allerdings, dass er es geschafft hat mit meinem Smartphone dieses Bild zu machen.
Es ist immer wieder eindrucksvoll zu sehen, wozu Mutter Natur in der Lage ist. Eine ganze Weile stehen wir einfach nur noch da und staunen. Dann ist es auch schon wieder Zeit zum Auto zurückkehren. Wir kämpfen uns bei der dünnen Luft den steilen Hang herauf und als wir ankommen stehen dort noch zwei weitere Fahrzeuge. Diese haben allerdings weniger Glück als wir, denn die Wolken verdichten sich zunehmend und verhüllen bereits den obersten Teil des Hornocals.
Wir sind jedenfalls höchst zufrieden und machen uns darauf wieder an den Abstieg. Unterwegs sehen wir eine kleine Herde Vicuñas, die das andine Pendant zu unseren Gemsen sind. Im Prinzip handelt es sich um kleine Lamas, die aber ausschließlich wild leben und gelegentlich für ihre dichte, feine Wolle gejagt werden.
Unser Fahrer erklärt uns, dass es grundsätzlich vier Tiere gibt, die zur Familie der Lamas gehören: Das Lama selbst und die Alpacas, welche im Laufe der Zeit domestiziert wurden. Die Vicuñas und die Guanacos sind weiterhin wikd lebende Tiere.
Dabei lohnt es sich auch zu erwähnen, dass das Lama bis zur Ankunft der Spanier das größte Lastentier Südamerikas war. Da ist es auch nicht verwunderlich, dass das hier nie erfunden wurde, wenn man nichts hat, was einen rollenden Wagen ziehen könnte.
Ein wenig später halten wir nochmals kurz an. Während der Hornocal in einem parallel verlaufenden Tal liegt, haben wir nun eine hervorragende Aussicht auf die Quebrada de Humahuaca. Ich denke nun versteht man, was ich mit „trockener Landschaft“ gemeint habe.
Wieder zurück in der Stadt bezahlen wir unseren Fahrer, bedanken uns und gehen getrennter Wege. Zumindest fast: Wie sich herausstellte, möchte der Argentinier heute noch bis ins nächste Dorf namens Tilcara reisen. Dies deckt sich mit meinem Reiseplan und so entscheiden wir kurzer Hand den Weg gemeinsam anzutreten.
Mit unseren Rucksäcken laufen wir bis zum Ortsrand und stellen uns dort an die Straße. Bis nach Tilcara ist es grundsätzlich nicht so weit und es sollte eigentlich gut möglich sein bis dorthin zu trampen, aber dazu müsste halt auch mal ein Auto anhalten. So kommt es, dass wir nach einer guten Stunde von einem Regionalbus aufgesammelt werden und auf diese Weise weiter gen Süden reisen.
Ich war so müde, dass ich kurz darauf einschlafe und wache erst wieder auf, als der Bus in Tilcara einfährt. Glücklicherweise hatte ich mir dort bereits den Standort eines Hostels markiert und wir begeben uns direkt dorthin. In der Unterkunft angekommen erklärt man uns, was es in der Gegend so alles zu unternehmen gibt und heißt uns herzlich willkommen.
Um diesen ereignisreichen Tag abzurunden, durchquere ich kurz darauf das Dorf, um zu einem Aussichtspunkt an dessen anderen Ende zu gelangen. Tilcara wird von einer atemberaubenden Kulisse umgeben und strahlt eine unglaubliche Ruhe aus. Es scheint als würden kaum Autos über die ramponierten Straßen fahren, weil die Leute lieber zu Fuß gehen, um die anderen Passanten dabei freundlich grüßen zu können. Wie Humahuaca ist auch Tilcara sehr touristisch, aber weniger hysterisch.
Am Dorfrand überquere ich ein mehrere Meter tiefes Flussbett und suche dann den Weg zum Aussichtspunkt. Es dauert einen kurzen Augenblick, bis ich ihn finde, und ein paar Minuten, bis ich oben ankomme. Dann setze ich mich. Schweige. Genieße.
Auf der anderen Seite des Dorfes befindet sich ein großer, mit Kakteen übersähter Hügel. Dabei handelt es sich um den Pucara von Tilcara, eine der wichtigsten archäologischen Stätten Argentiniens. Um 1100 n. Chr. baute sich die Ureinwohner Tilcaras auf diesem Hügel damals eine befestigte Siedlung. Das man diesen strategischen Punkt wählte, deutet daraufhin, dass bewaffnete Angriffe durch anderer Völker keine Ausnahmen waren und man schlichtweg das Bedürfnis verspürte sich verteidigen zu müssen.
Auch wenn der Pucara vielleicht aus Kriegerischer Absicht erbaut wurde, bringt er mir nun vor allem eines: Inneren Frieden. Ich habe das Glück diesen Ort bewundern zu können, wärend die letzten Sonnenstrahlen, die Nadeln der darauf wachsenden Kakteen zum glänzen bringen. Je schärfer das Licht über den Kamm des dahinter stehenden Berges schrabbt, desto intensiver wird auch das saftige Grün der Bäume. Dann ist die Sonne plötzlich weg. Ein wundervoller Tag geht zu Ende. Ein wundervoll bunter Tag geht zu Ende.
Hallo Remi,
vielen Dank dass du mich an deiner Reise teilhaben lässt. Da möchte ich am liebsten auch sein und die Ruhe spüren können. Sei lieb gegrüßt Jutta
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Hallo Jutta,
wenn ich die Zeit dazu finde, mache ich das doch gerne 😉
Liebe Grüße,
Rémi
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