Eine wundervolle Hauptstadt
Paraguay liegt im Herzen Südamerikas und doch wird das Land von Besuchern oftmals umgangen. Das liegt daran, dass es im Vergleich mit seinen Nachbarn nicht besonders fotogen ist und auch im allgemein keinen guten Ruf hat. Alle Argentinier, die ich diesbezüglich befragte, waren Paraguay gegenüber negativ eingestellt und warnten mich explizit vor seinen Einwohnern. Nachdem ich mich dann ein paar Tage auf seine Hauptstadt eingelassen habe, bauten sich die dadurch entstandenen Vorurteile jedoch schnell wieder ab. Sie haben diesen Ruf nicht verdient. Ganz besonders eines möchte ich jetzt schon mal aus dem Weg räumen: In Paraguay ist nicht jeder kriminell und trachtet nach deinem Leben. Auch was die Menschen angeht ist dies ein Ort der Bipolarität. Die überwiegende Mehrheit Asuncións Einwohner habe ich als ausgesprochen nett und freundlich empfunden. Hilfsbereitschaft ist hierzulande eine große Tugend.
Infrastruktur
Asuncións Straßen mögen zwar nicht perfekt in Schuss sein, doch sie geben meist ein einladendes Stadtbild ab. In unregelmäßigen Abständen zieren Bäume die Gehwege und bringen somit etwas Farbe in den Großstadtdschungel. Das Beste daran ist, dass viele der Pflanzen Mango- oder Limettenbäume sind, bei denen man sich einfach bedienen kann. Auch bei nicht wenigen Privatanwesen kann man hinter der Fassade einen bepflanzten Innenhof erahnen. Öffentliche Parks gibt es dagegen nicht all zu viele. Die wenigen vorhandenen waren allerdings gut gepflegt. Es scheint als hätten die ach so chaotischen Paraguayer etwas für spießige Gartenarbeit übrig.
Ganz im Gegenteil zum Stromnetz, scheint Asuncion eine gute Wasserversorgung zu haben. Ich weiß, dass ich da ohnehin nicht besonders viel aufpasse, aber ich habe auch in Asuncion problemlos das Leitungswasser getrunken. Für eine Großstadt war es geschmacklich sogar außerordentlich gut.
Wie sieht es denn mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in Asuncion aus? Trotz seiner größe besitzt Asuncion keine Metro. Dafür gibt es aber ein gut ausgebautes Busnetz. Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Klassen von Stadtbussen: Die mit und die ohne Klimaanlage. Daran sieht man mal wieder, wie heiß es in dieser Stadt wird. Als alter Sparfuchs war ich überwiegend mit den unklimatisierten Bussen unterwegs, doch selbst mit den anderen fährt man quasi zum Nullpreis. Um als Tourist herauszufinden, welche Linie die richtige ist, muss man sich einfach durchfragen. Buspläne und geregelte Zeiten gibt es hier nicht und entsprechen auch nicht der hiesigen Denkweise. Wie sich heraustellte, sind die einheimischen mit Ihrem Bussystem jedoch bestens vertraut und die korrekte Buslinie ist in wenigen Minuten gefunden. Diese zirkulieren auf ihren Routen in mehr als ausreichender Stückzahl, sodass ein Fahrplan einfach überflüssig wird. Wenn der entsprechende Kleinbus dann anrollt, muss man sich nur noch an den Straßenrand stellen und ihn heranwinken, damit dieser auch hält. Eine ähnlich unkomplizierte Vorgehensweise gilt auch fürs Aussteigen. Man gibt dem Fahrer dazu kurz Bescheid und innerhalb der nächsten zwanzig Meter verlangsamt er seine Geschwindigkeit und man kann aus dem Bus springen.
The Crew
Ob im Bus oder zu Fuß, ich war in Asunción meist mit den anderen Gästen des Hostels unterwegs. Viele waren entweder bereits seit langem in der Stadt oder sind ähnlich lange wie ich geblieben. Die Leute waren unter anderem auch ein Grund dafür, dass ich so lange geblieben bin. Allerdings könnte ich nicht von ihnen sprechen, ohne mein Hostel unerwähnt zu lassen, also werde ich das zuerst abhaken. Von der Straße aus ist es als solches kaum zu erkennen. Lediglich ein kleines Logo hinter dem mächtigen Stahltor weist darauf hin und vermutlich war es eine aktive Entscheidung dies aus Sicherheitsgründen so dezent wie möglich zu halten. Tritt man allerdings durch den Eingangsbereich eröffnet sich einem diese Oase, bei der man sich einfach nur wohlfühlen kann.
Geführt wird es von einer Paraguayanerin und einem Franzosen, der seine jetzige Frau bei einer Fahrradrundreise durch Südamerika kennenlernte. Dies erklärt vermutlich auch, dass es täglich morgens zum Frühstück frisch gebackene Crêpes und viele weitere Leckereien gibt. Eine der Personen mit denen ich mich sehr gut verstand arbeitete dort ebenfalls. Mit ihr werde ich mal anfangen:
Dana – Südafrikanerin, ungefähr 24 Jahre alt, blond, Dreadlocks. Sie hat bereits ihr Studium abgeschlossen und arbeitet seitdem in ihrem Metier als Dokumentarfilmproduzentin. Wer mich gut kennt, weiß nun auch, dass ich mich mit dieser Person nur gut verstehen kann. Dana würde vom Durchschnittsdeutschen als alternativer Hippie abgestempelt werden und das ist sie vermutlich auch. Viel mehr ist sie aber eine ziemliche Alrrounderin und Person, die ein gutes Auge für die kleinen Dinge hat. Nun reist sie durch Südamerika und macht bei Gelegenheit kleine Informationsfilme über Dinge die sie interessieren. Vor allem is Dana aber eine ausgesprochen offene und freundliche Person. Und man, was haben wir gemeinsam gelacht. Mit ihr stehe ich glücklicherweise nach wie vor noch in Kontakt.
Holly und Charlie – Britisches Paar, ungefähr 23 Jahre alt. Charlie trägt auch Bart und könnte vom Aussehen mit Leichtigkeit mein Cousin sein. Die beiden haben sich während ihres Politik-Studiums kennengelernt und sind dementsprechend politisch versiert. Wer mich gut kennt, weiß nun auch, dass ich mich mit diesen Personen nur gut verstehen kann. Mit den beiden habe ich den einen oder anderen Ausflug unternommen und sehr genossen. Charlie betrachtet Dinge auf der einen Seite sehr kritisch und und hinterfragt vieles. Als Politiker würde er sich tatsächlich nicht schlecht machen. Auf der anderen Seite genießt er seine Ruhe und die Freiheit. Eines Tages möchte er sein eigenes Hostel aufmachen; vielleicht in Spanien. Er führt einen eigenen Blog und hat meiner Meinung nach einen grandios ironischen Schreibstil. Bei Interesse, kann man sich das ganze hier mal ansehen. Auch mit den Beiden teile ich von Zeit zu Zeit noch ein paar Neuigkeiten aus.
Sophia – Mit ihr teile ich viele Gemeinsamkeiten: wir sind gleich alt, haben im selben Jahr Abi gemacht und das sogar mit dem gleichen Notendurchschnitt. Außerdem ist Freiburg von Konstanz nun auch nicht so weit entfernt. Sie hat sich ebenfalls für ein Jahr nach Südamerika aufgemacht, ihre Reise aber im Norden begonnen. Da es ihr in Kolumbien so gut gefallen hat, ist sie gleich mal für ein halbes Jahr dort geblieben. Noch während meines Aufenthaltes in Asunción hat sie sich ein Rückflugticket nach Kolumbien gesichert. Das macht auf jeden Fall Lust auf dieses Land.
Alexander – zwanzig Jahre alt und ist in Frankreich trinlingual aufgewachsen, da seine Eltern aus England und Deutschland kommen. Selbst wenn er sich über etwas lustig macht, kann man es ihm nicht übel nehmen, da er eine sehr herzerwärmende und gutgemeinte Lache hat (ich glaube dieses Wort gibt es eigentlich gar nicht). Er sorgte immer für gute Stimmung und nahm nicht selten dazu seine Gitarre zur Hand. Darauf kommen wir aber noch später zu sprechen. Anbei seht ihr seinen Friseurbesuch bei Sophia.
Daniel – Russlanddeutscher, der mit acht Jahren in die BRD immigrierte. Sein jetziges Alter ist schwer zu schätzen, es bewegt sich irgendwo zwischen 25 und 35. Er ist einer der im letzten Artikel erwähnten Aussteiger. Seine Schwester wohnt bereits seit drei Jahren mit Mann und Kindern in Paraguay. Er ist ihrem Beispiel nun gefolgt, und wartet gerade auf seine neue Staatsangehörigkeit. Was die Zukunft angeht erschien er mir aber ziemlich planlos, was darin resultierte, dass er täglich um elf Uhr das erste Bier aufmachte. Er machte dann immer die Runde und bot jedem auch ein Glas an. Dies zeigt allerdings, dass er von Grund auf ein freundlicher Mensch war. Mit ihm habe ich viel Tischtennis gespielt und es war stets ein harter Kampf.
Da waren noch mehr nette Personen mit denen ich teilweise viel Zeit verbracht habe, aber ich kann einfach nicht jeden hervorheben. Jedenfalls habe ich die Zeit mit allen sehr genossen. Seit Buenos Aires war es das erste mal, dass ich mehrere Tage mit den gleichen Personen verbracht habe und tiefer gehende Beziehungen zu ihnen aufbauen konnte. Zudem sind alle Gäste länger als geplant geblieben, was darauf hindeutet, dass dieses Phänomen auf Gegenseitigkeit beruhte. Wir haben viel diskutiert, gespielt und gelacht. Tagsüber haben wir gemeinsam die Stadt erkundet und zusammen gekocht. Natürlich sind wir Nachts auch ausgegangen. Kurz gesagt: Muy buena gente.
Mercado N° Cuatro
Einen der gemeinsamen Ausflüge habe ich mit Charlie und Holly unternommen. Die anderen Gäste des Hostels hatten mir bereits davon erzählt und als Charlie mich eines morgens fragte, ob ich nicht Lust hätte ihn zu begleiten, musste ich nicht lange überlegen. Es handelt sich hierbei um den sogenannten städtische Markt Nummer Vier. Stellt euch hierzu bitte kurz vor, wie ihr mittwochmorgens in Konstanz über den St-Gebhards-Platz lauft. Da gibt es den Blumenhändler, Fleischkäsbrötchen, frisches Gemüse und den fahrenden Wurstwarenverkäufer, der so aussieht als würde er die Hälfte seiner Produkte selbst essen. Nun löscht all das das aus eurem Kopf, denn ich werde den Begriff eines Marktes für euch neu besetzen.
Je näher man dem Markt kommt, desto stockender wird der Verkehr und die Straßen füllen sich zunehmend mit Menschen. Alleine im offiziellen Teil des Marktes verdienen zweitausend Menschen ihren Lebensunterhalt, indem sie täglich grob das zehnfache an Kunden bedienen. Über das Hauptgebäude hinaus erstrecken sich in die Seitenstraßen aller Himmelsrichtungen jedoch ebenso unmengen an Verkäufsstände, die nicht mit in die Statistik zählen. Es ist das ökonomische Herz Asuncións und ein unglaubliches Durcheinander. Jedoch spreche ich hier von einem unglaublich schönen Durcheinander.
Als wir die erste Verkaufsstraße erreichen, sind wir noch immer weit vom offiziellen Teil des Marktes entfernt. Es ist halb elf Uhr am Morgen und es herrscht höchste Produktivität. Die Leute laufen kreuz und quer, transportieren Waren auf Schubkarren, be- und endladen ihre Transporter, laufende Händler verkaufen Getränke, plötzlich fährt eine vierköpfige Familie auf einem Motorrad durch die Menge und die Verkäufer rufen dir zu, was sie alles zu verkaufen haben. Hatte ich bereits gesagt, dass ich diese chaotischen Zustände liebe? Ich kann mir das Grinsen nicht verbergen, denn ich habe das Gefühl endlich in dem Südamerika angekommen zu sein, wie ich es mir vorgestellt habe. Dabei sind wir noch nicht einmal beim eigentlichen Chaos angekommen. Eines wird allerdings jetzt schon klar: Egal was du suchst, du wirst es hier finden.
Mit der Zeit rücken die Stände immer weiter auf die Straße und lassen den Fußgängern nur noch eine schmale Passage zum laufen. Auf Grund dessen, dass Asunción von Zeit zu Zeit vom einen oder anderen Schauer heimgesucht wird, schützen die Händler ihre Waren, in dem sie ihre Stände notdürftig mit den verschiedensten Brettern, Wellblechen und Planen abdecken. Manchmal sind diese über die gesamte Passage gespannt, sodass man das Gefühl hat durch einen regelrechten Einkaufstunnel zu laufen.
Dieser Tunnel ist erfüllt von den Rufen der Verkäufer, welche die außerordentliche Gabe besitzen, den ganzen Tag das gleiche schreien zu können. Meine Stimmbänder würden bei der Lautstärke nicht mal eine Viertelstunde durchhalten. Außerdem würde ich sicherlich verrückt werden, wenn ich auch nur ein paar Stunden nichts anderes sagen würde, als dass ich Kartoffeln und Zwiebeln verkaufe. Wie übrigens der Verkäufer gegenüber auch, und der links und rechts von mir, und der Nachbar von denen, und fünf Stände weiter immernoch das gleiche. Am Anfang war das Angebot noch gut durchmischt, doch je weiter wir in den Markt vordringen, desto mehr gleichen sich die Artikel der benachbarten Stände. Sollte jemand gerade auf der Suche nach einer Geschäftsidee sein, dann erstellt doch bitte eine interaktive Karte des Marktes, auf welcher man erkennen kann, in welchem Viertel es beispielsweise Gemüse gibt oder wo man die ganzen Kleidergeschäffte findet. Werbung könnte man dort übrigens auch perfekt einbinden. Nur zu, junge Programmierer, ich habe euch gerade ein Vermögen geschenkt.
Beim Gemüse kann ich ja noch halbwegs verstehen, dass die Stände auf eine Passage des Marktes konzentriert sind. Der eine verkauft nämlich schönere Früchte und beim nächsten sind die Gurken reifer. So können die Kunden schnell vergleichen und sich das Beste jedes Standes raussuchen, ohne kilometerweise laufen zu müssen. Ganz anders ist das beispielsweise bei den Schuhverkäufern. Als wir dort ankommen traue ich schier meinen Augen nicht. Da sind mindestens zwanzig Stände, die ausnahmslos die gleichen Schuhe verkaufen. Einer nach dem anderen haben sie den gleichen Aufbau und die gleiche Art ihr gleiches Sortiment zu präsentieren. Ich habe das Gefühl, dass sich überhaupt niemand von den anderen abheben will, um mehr Profit zu machen. Ist das vielleicht real funktionierender Sozialismus?
Mittlerweile sind wir übrigens am offiziellen Gebäude des Marktes angekommen, wie ihr anhand der festen Bausubstanz rechts auf dem Bild erkennen könnt. Das Treiben im inneren des Gebäudes ist mit nichten weniger chaotisch, doch hier scheinen die verschiedenen Branchen noch strikter voneinander getrennt zu sein. Es gibt eine ganze Halle für Fleischwaren, eine für Gemüse, dann Kleider, Elektronik, Backwaren, Rucksäcke, Schreibwaren, Möbel, gebrannte DVD’s und vieles mehr. Selbst hochpreisige Fernseher und Motorroller kann man auf dem Markt kaufen. Auf Grund seiner Größe und den verschachtelten Passagen, ist es ein leichtes den Überblick zu verlieren und es passiert uns mehrmals, dass wir uns an einer Stelle wiederfinden, wo wir bereits waren. Vergesst also die Ortung per GPS nicht, liebe Informatiker.
Am Beispiel dieser Gemüsehalle möchte ich auf etwas zu sprechen kommen, das ich bisher noch nicht erwähnt habe. Wer mich kennt, weiß auch, dass ich des öfteren behaupte ich hätte einen gestörten Geruchssinn. Nun weiß ich es besser: Ich kann sehr, sehr viele verschiedene Gerüche warnehmen. Wer ein echtes Abenteuer erleben will, sollte sich mal für ein paar Minuten mit verbundenen Augen durch den Markt führen lassen. Innerhalb von zehn Metern kann es sein, dass man sowohl den Duft von wohlriechende Blumen, verwesenden Orangen, gegrilltem Fleisch, verschiedenen Parfümen, toten Tieren, süß-saueren Limonaden, Reinigungsalkohol, Schimmel, frischen Textilien, Gewürzen und Urin zu spüren bekommt. In Paraguay ist der Geruchspegel grundsätzlich höher und reicher an Inhaltsstoffen, aber eine derart diverse Mischung habe ich noch nie erlebt. Also noch einmal die gute Nachricht: Mein Geruchssinn lebt!
Hat jemand von euch eigentlich bemerkt, wer der Sponsor der Gemüsehalle ist? Wer genauhinsieht kann im Hintergrund sogar den Sponsor der Drogerieabteilung erkennen. Liebe (vermutlich schon) Start-up Gründer: Die ersten Werbekunden eurer App warten bereits auf euch.
Danach hat Charlie sich ein paar Boxershorts kaufen wollen. Darauf möchte ich jetzt allerdings nicht hinaus. Mit diesem Foto will ich auf eine weitere Kernkompetenz der Paraguayaner hinweisen. Es gibt hier ein Sprichwort, welches übersetzt wie folgt heißt: Egal wie viel schon drin ist, da geht noch mehr!
Das ist natürlich gelogen, aber auf dem Markt weist alles darauf hin, dass es so wäre. Vor allem die Kleiderläden sind so vollgestopft, dass die Verkäufer dir zum Vorführen mit ihrem Besen Kleider aus drei Metern höhe herunterholen müssen. Wie ich bei Charlie sehen konnte, haben die Verkäufer nämlich immer noch ein besseres Angebot oder etwas anderes, dass er unbedingt noch sehen sollte. Bei der Menge an Artikeln ist das auch nicht verwunderlich. Der Arme wollte nicht unhöflich sein und kam gar nicht vom Fleck. Im Endeffekt hatten er und Holly aber ein paar neue Boxershorts und BH’s, und ich meinen kleinen Moment der Schadenfreude.
In Paraguay haben die Leute eine recht offensive Verkaufsstrategie, was auch die Existenz der ganzen Marktschreier erklärt. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass diese immer respektvoll blieben und keines Falls beleidigt oder wütend werde, wenn man ihnen selbst nach einem Gespräch keine Artikel abkauft. Sie schauen dich auch nicht an, als würde ihr Leben davon abhängen, ob du mit ihnen ins Geschäft kommst oder nicht. Paraguayer sind sehr offene, ehrliche und direkte Leute. Das habe ich vorallem auf diesem Marktbesuch gelernt und das weiß ich sehr zu schätzen.
Nachdem wir das Hauptgebäude wieder verlassen haben, setzen wir uns noch kurz, um bei einem der Straßenhändler etwas kleines zu essen. Bei all den tollen Dingen und Eindrücken, die mir dieser Markt vermittelt hat, muss ich doch nochmal auf ein negativen Punkt hinweisen. Der Junge, der mir und Charlie gerade unser gegrilltes Fleisch bringt hat dort um kurz vor zwölf überhaupt nichts verloren. Nämlich kaum älter als das, sollte er um die Uhrzeit in der Schule sein. Leider war er nicht das einzige Kind, das während unseres Marktbesuches seiner Familie aushelfen oder selbstständig Dinge verkaufen musste. Die Zahl hielt sich zwar noch in Grenzen, aber besser wäre es natürlich dort an einem Montagmorgen überhaupt keine Kinder zu Gesicht zu bekommen.
Money, Money, Money
Wo wir so viel über den Markt gesprochen haben, liegt es doch nahe auch ein wenig über Geld zu reden. Die offizielle Währung Paraguays ist der Guaraní. Er ist derzeit Südamerikas entwerteste Währung und hat einen Wechselkurs von 6229 PYG zu einem Euro. Das hat den Effekt, dass man sich in diesem Land sehr reich fühlt und das ist man als Europäer vermutlich auch. Für rund 2,00 € bekommt man schon ein Mittagessen und den Stadtbus zu nutzen kostet etwa 0,35 €. Unter anderem ist dies der Grund dafür, dass so viele Europäer heute hierhin auswandern. Das Leben ist in Paraguay einfach sehr sehr billig für unsereins.
Desweiteren ist Paraguay endlich mal ein Land, in welchem Handeln erlaubt ist. Wie ich bereits sagte, sind die Leute hier beim Verkauf sehr respektvoll, was den Handlungsspielraum jedoch deutlich verringert, da man sich von vornherein sehr nah an einem realistisch Preis befindet. Auf den Märkten kann man aber auf jeden Fall ein wenig spielen. Das folgt dann in der Regel mehr dem Schema „wenn ich das noch dazu nehme, dann machen wir…“ als rein um den Preis einer Sache zu handeln.
Die Hauptstadt der Hauptstadt
Asunción hat ein schönes und einladendes Zentrum voller Leben. An meinem zweiten Tag habe ich diesem mit Sophia und einem älteren Herr aus meinem Hostel einen Besuch abgestattet. Er ist der Sohn französischer Besatzer und in Ravensburg aufgewachsen. Da er sich schon seit langem in der Stadt befindet, hat er sich dazu bereit erklärt uns ein paar Dinge zu zeigen. Also haben wir uns als Süd-West-Trio aufgemacht, um das Zentrum zu erkunden.
Erste Anlaufstelle ist der Präsidentenpalast. Er wurde 1867 während dem Tripel-Allianz-Krieg fertiggestellt. Damals verbündeten sich Argentinien, Brasilien und Uruguay gegen Paraguay, was nach sechs Kriegsjahren darin resultierte, dass letztgenannte 40% ihres Staatsgebiet verloren. Brasilien eignete sich eine große Region des heutigen Mato Grosso do Sul an und Argentinien übernahm die Provinz Missiones, was ihr ja mittlerweile wissen solltet. Das größte Drama besteht allerdings darin, dass bei diesem krieg 440.000 Menschen ihr leben lassen; darunter 300.000 auf paraguayanischer Seite. Lasst mich das bitte noch kurz ein wenig vertiefen: Vor dem Krieg hatte der Staat vor dessen Regierungssitz ich nun stehe eine Gesamtpopulation von 525.000 Einwohnern. Danach verblieben gerade einmal 221.000, von denen lediglich 28.000 Männer waren. Das Bedeutet, dass nach dem Krieg auf nur einen Mann etwa sieben Frauen kamen. Dass Paraguay dadurch für Generationen ein gesellschaftlich und wirtschaftlich stark gezeichnetes Land war, kann man sich denken.
Genug von den Kriegen, aber weiter mit Politik. Nicht weit vom Präsidentenpalast befindet sich das nationale Parlament, zu dem wir uns nun aufmachen. Als wir dort ankommen, klopfen wir kurz und siehe da: Der Premierminister öffnet die Tür und bittet uns herein. Moment, es war doch ein wenig anders. Wir gehen durch den Besuchereingang und passieren die Sicherheitskontrolle. Man sieht uns wohl an, dass wir Ausländer sind und ohne das wir danach fragen wird uns eine Touristenführerin zur Seite gestellt. Ich bin ein bisschen überrascht, dass alles so unbürokratisch abläuft, denn schließlich reden wir hier vom nationalen Parlament. In Deutschland muss man sich so weit ich weiß Wochen vorher anmelden, wenn man den Bundestag besuchen möchte.
Es findet gerade eine öffentliche Anhörung statt, bei der jeder Staatsbürger das Recht hat seine Anliegen einer Hand voll Abgeordneter vorzutragen. Mehr Bürgerbeteiligung in der Demokratie, sind das nicht die Deutschen, die das fordern? Um fair zu bleiben, muss man allerdings auch dazu sagen, dass das bei einem Staat dieser Größe etwas einfacher ist. Wobei auch jeder Abgeordnete in seinem Landkreis eine öffentliche Anhörung pro Monat oder ähnliches machen könnte. Diesen Gedankengang führen wir allerdings ein anderes mal fort.
Nachdem wir der Anhörung ein paar Minuten gefolgt haben, wobei ich ehrlich gesagt nicht all zu viel verstanden habe, setzen wir unsere Runde durchs Parlament fort. Es geht durch verschiedene Gänge und an den Büros der Abgeordneten vorbei. Anschließend fahren wir mit dem Aufzug nach oben, um uns das Abgeordnetenhaus anzusehen. Es ist gerade leider niemand da, weil Monsanto der gesamten Kammer eine Traumreise auf die Malediven spendiert hat. Okay, das tut mir leid, ich konnte es mir einfach nicht verkneifen.
Da ich nichts über die Abgeordneten bei ihrer Arbeit erzählen kann, werde ich euch von der Aufzugfahrt berichten . Wenigstens dort arbeitet nämlich jemand. Und zwar hat er nichts anderes zu tun, als auf die gewünschte Zahl der Stockwerke, Türe zu und Türe auf zu drücken. Ob dieser Job nun auf Grund der Eitelkeit der Parlamentarier oder als gutgemeinte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme entstanden ist, kann ich nicht bewerten.
Nach dem Abgeordnetenhaus haben wir die Möglichkeit von oben die gesamte Eingangshalle zu überblicken. Der Teil des Gebäudes, in dem sich die Sitzungssääle befinden, ist wie eine Halbkugel geformt und schneidet die quadratische Eingangshalle (rechts). Hinter der Glasfront kann man die Gemäuer des ehemaligen Parlamentsgebäudes sehen, welche in den neuen Komplex integriert wurden. Davor gibt es einen Tisch mit Getränken und Snacks, bei denen sich jeder bedienen kann. Die gehen so zusagen aufs Haus. Oder bezahlt nicht doch jeder indirekt mit seinen Steuergelder für diese kleine Bestechungsmaßnahme? Okay, okay, das reicht jetzt mit den Verschwörungstheorien.
Danach sind wir mit dem Parlament eigentlich auch schon durch. Wir bedanken uns bei unserer Führerin und tragen uns noch kurz ins Gästebuch ein. Warum auch immer dieses für eine solche Institution existiert. Anschließend begeben wir uns runter zum Fluss und laufen die Promenade ein Stückchen entlang. Bevor ich euch diese zeige, jedoch noch ein kurzes Foto von Asuncións Skyline. Das Schiffsartige Gebäude, welches links aus dem Meer aus Bäumen hervorragt ist übrigens das Parlamentsgebäude.
Wir laufen die promenade weiter bis zum Hafen. Dort geht es jedoch irgendwann nicht mehr weiter, da es militärisches Sperrgebiet der Marine ist. Warum Paraguay, neben Bolivien der einzige Binnenstaat Südamerikas, überhaupt eine Marine braucht, wird mir dabei nicht ganz klar. Auf jeden Fall tragen sie schöne weiße Matrosenuniformen, das muss man ihnen lassen. Nun wie versprochen, der Rio Paraguay mit Asuncións Hafen.
Da der Hafen sich als Sackgasse entpuppt hat kehren wir ins Regierungsviertel zurück, statten einer deutschen Bäckerei einen Besuch ab, versuchen die Kathedrale zu besichtigen, welche leider verschlossen ist und landen schließlich im Museum. Auch hier kann ich nur ein weiteres Lob aussprechen: Staatliche Museen sind in Asunción kostenlos.
Aus dem Museum eine kleine Anekdote: Paraguay war eines der ersten Länder Südamerikas, das sich stolzer Besitzer einer Eisenbahn nennen durfte. Heute haben sie überhaupt keine nennenswerten Zugverbindungen mehr. So weit ich richtig informiert bin, beträgt die längste Strecke gerade einmal 43km und ist für Touristen gebaut worden.
Zeit für Neues
Während das mit den Zügen für Paraguay wohl eher ein Rückschritt war, habe ich in Asunción ein paar persönliche Fortschritte gemacht. Auf meiner bisherigen Reise habe ich, sobald ich dazu die Möglichkeit hatte, immer selbst gekocht. Vor allem in Argentinien und Uruguay war dies deutlich günstiger, als in ein Restaurant zu gehen. Selbst Streetfood hat dort seinen Preis. Allerdings ist es bei meinem selbst zubereiteten Essen meist auf Nudeln mit Tomatensauce oder ähnliches herausgelaufen. Davon hatte ich mittlerweile so ziemlich die Schnauze voll und musste unbedingt etwas daran ändern. Glücklicherweise befand ich mich in einer Stadt, in welcher es sowohl hervorragende Supermärkte, als auch die ohne das Super gab. Die Zutaten waren nicht teuer, es gab eine große Auswahl und die Qualität stimmte ebenso. Der nächste Schritt war dann einfach ein Kochbuch zur Hand zu nehmen und loszulegen. Nur leider hatte ich kein Kochbuch dabei. Aber unsere Generation kennt da ja dieses Ding namens Internet, also alles in Butter. Ja, ich habe tatsächlich angefangen richtig zu kochen, meist zwei Mahlzeiten am Tag. Manchmal nach Rezept und ansonsten habe ich meiner Kreativität freien Lauf gelassen, lecker war es allerdings (fast) immer. Nur einmal habe ich eine Gemüsepfanne anbrennen lassen, weil ich in ein Gespräch verwickelt wurde. Ich denke das kann man vernachlässigen.
Kochen ist entspannend. Vermutlich wäre es auch entspannend zwei mal täglich eine halbe Stunde lange einer anderen handwerklichen Tätigkeit nachzugehen. Kochen hat allerdings den angenehmen Nebeneffekt, dass man danach noch etwas gutes zu essen hat. Ich werde versuchen weiterhin neue Dinge auszuprobieren.
Da ich in Asunción kaum mehr als eine halbe Stunde in meinen Blog investiert habe, hatte ich neben dem Kochen noch mehr Zeit um neue Dinge auszuprobieren. Alexander und Charlie spielen beide sehr gut Gitarre und haben sich dazu bereit erklärt, mir ein paar Dinge zu zeigen. Da so gut wie jedes Hostel eine Gitarre besitzt, hatte ich mir ohnehin schon überlegt damit anzufangen und nun war der richtige Moment gekommen. Das hat dann dazu geführt, dass ich den einen oder anderen Abend einfach mit Gitarre üben verbracht habe. Mal sehen, wie weit ich es bringe.
Big little beauty
Dass Paraguays Hauptstadt doch die eine oder andere schöne Ecke zu bieten hat, dürfte mittlerweile klar sein. Da geht allerdings noch mehr. An einem Sonntagmorgen habe ich mich mit Holly und Charlie zu einem besonderen Viertel im Herzen Asuncións aufgemacht. Es nennt sich Loma San Jerónimo und befindet sich direkt hinter dem Hafen. Auf dem Weg dorthin entdecken wir das einige Streetartmotive und kommen zu dem Schluss, dass Asunción voll davon ist. Man muss nur ein wenig mit offenen Augen durch die Stadt laufen.
Sonntags wird hier wohl richtig ausgeschlafen, denn als wir in Loma San Geronimo ankommen, sind wir die einzigen Besucher und haben das ganze Viertel nur für uns. Es befindet sich auf einem kleinen Hügel und ist eigentlich eine Wohngebiet. Deren Einwohner erweisen sich allerdings als besonders erfinderisch, was dieses Viertel in Asunción einzigartig macht. Seine schmalen Gassen sind gefüllt von kleinen Kunstwerken aus überwiegend recycleten Gegenständen und der einen oder anderen Überraschung.
Vor allem Charlie, der ja mit dem Gedanken spielt in Zukunft ein eigenes Hostel zu eröffnen, konnte gar nicht genug von den verschiedenen Recycling-Ideen bekommen. So sind wir also einfach durch das gesamte Viertel gelaufen und haben uns inspirieren lassen. Es fühlt sich ein wenig so an, als würde man von der Großstadt direkt in ein kleines Dorf spazieren, welches eine unglaubliche Ruhe Gelassenheit und Lebensfreude ausstrahlt.
Das Viertel ist nicht groß und so haben wir nach einer knappen Stunde bereits alle Straßen, Treppen und Gässchen abgelaufen. Am höchsten Punkt des Viertels kann man über ein Privatanwesen auf dessen Dach steigen, wo es einen kleinen Aussichtspunkt über die gesamte Stadt gibt. Vom Dorf also wieder zurück in den Großstadtdschungel.
Schatten und Licht, alt und neu, Gefahren und Leben. Asunción ist und bleibt ein Ort voller Gegensätze. In allen Belangen. Eine seltsam wundervolle Stadt.